Wie kann Nachbarschaftshilfe mehr als bisher leisten?

Nachbarschaftshilfe ist Selbsthilfe

Nachbarschaftshilfe ist doch ein alter Hut. Es gab sie schon immer und früher selbstverständlicher und alltäglicher als heute. Nachbarschaftshilfe hat viele Motive: Selbstverständlichkeit, Gemeinschaft, Selbsthilfe und Not, um nur vier von ihnen zu nennen.

Selbstverständlichkeit

Der Nachbar gehört halt dazu, die Nachbarin wohnt nebenan. Wir begegnen uns, wir mögen uns oder auch nicht. In jedem Fall gehören Nachbar:innen zu unserem Leben, sie sind wie selbstverständlich Teil unseres Alltags. Wir grüßen oder auch nicht, vielleicht klönen wir zwischendurch und wenn sonntags beim Backen der Vanillezucker fehlt, klopfen wir eventuell, um mit ein bisschen Glück den Kuchen doch noch fertig zu bekommen.

Gemeinschaft

Stricken, Schachspielen, gemeinsame Ausflüge unternehmen. Das kann Nachbarschaft natürlich auch sein. Früher war es die Kneipe oder der Betrieb, vielleicht braucht es heutzutage dafür einen Verein. Einige Genossenschaften haben einen separaten Nachbarschaftsverein ausgegliedert, der mit regelmäßiger Unterstützung der Genossenschaft und meist ehrenamtlich geführt, das Fest im Quartier oder regelmäßige Aktivitäten anbietet.

In der Bau- und Wohnungsgenossenschaft Halle-Merseburg e.G. übernimmt diese Funktion das Sozialmanagement. Übertragen auf das Thema Pflege ist das Begleitung und Sorge, eine Unterstützung also, für die andere Institutionen Geld aus der Pflegeversicherung bekommen bzw. sich über den Entlastungsbetrag finanzieren. Ihre Genossenschaft könnte mit relativ geringem Aufwand und guten Erfolgsaussichten sich vom Bundesland Sachsen-Anhalt anerkennen lassen.

Titel: Nicht perfekt, aber funktionstüchtig ©Florian Kiel

Titel: Nicht perfekt, aber funktionstüchtig ©Florian Kiel

Selbsthilfe

Wie wir in den bisherigen Veranstaltungen aus der Nachbarschaft bereits gehört haben, helfen sich Nachbar:innen vor allem im Hauseingang aber auch darüber hinaus bereits. Das ist die Einkaufstasche, die wir der älteren Dame in den zweiten Stock tragen, das ist ein gelegentlicher Fahrdienst zum Arzt oder das Schneeschippen im Winter. Keiner von uns käme auf die Idee diese Hilfe als Ehrenamt zu bezeichnen, wir machen das punktuell und zumeist als einzelne Nachbar:innen.

Wenn wir es regelmäßig und als koordiniertes Netzwerk täten, dann könnten wir uns im Quartier als Nachbarschaft viel stärker selber helfen. Das muss kein mehr an Aufwand für den Einzelnen sein, im Gegenteil. Über moderne Kommunikationsmittel und eine(n) zentrale(n) Ansprechpartner:in würde jede(r) ab und an ein bisschen beisteuern können. Für Pflegebedürftige hat diese Form der Nachbarschaftshilfe einen enormen Vorteil: Sie ist verlässlich. Für Angehörige bringt sie Erleichterung, weil es eine zentrale Koordinationsstelle gibt, die das unterstützende Netzwerk koordiniert.

In der Bau- und Wohnungsgenossenschaft Halle-Merseburg e.G. könnte diese Koordinierung eine separate Person übernehmen. Für pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen kann Nachbarschaftshilfe und ambulanter Dienst gemeinsam zentral organisiert werden, so dass Verlässlichkeit und Vertrauen wachsen können. Die Palette der möglichen Unterstützungen haben wir hier beschrieben.

Not

Pflegedienste werden knapp und knapper. Sie werden sich auf das Wesentliche konzentrieren und kaum Zeit mitbringen oder eventuell gar nicht kommen. Das ist der Pflegenotstand, der uns zu diesem Modellprojekt bewegt hat.

Wenn die Nachbarschaft auch Grundpflege übernehmen soll, dann benötigen wir ein paar weitere Rahmenbedingungen, die bislang so in Deutschland nicht praktiziert werden.

  • Begleitung durch Fachkräfte: Grundpflege ist mit Risiken verbunden, die nur eine Fachkraft richtig einschätzen kann. Grundpflege sollte also nur dort übernommen werden, wo eine Fachkraft bereits anwesend war, dokumentiert hat und die weitere Fortführung besprochen worden ist. Regelmäßig sollte die Fachkraft über die Schulter schauen.

  • Schulungen für einzelne Tätigkeiten: Angehörige und Nachbar:innen benötigen Fachwissen. Manches lernt man schnell, vor allen Dingen soll Nachbarschaftshelfer:innen einschätzen lernen, wann eine Fachkraft hinzuzuziehen ist. Die Bau- und Wohnungsgenossenschaft Halle-Merseburg e.G. könnte in Zusammenarbeit mit einem Pflegedienst oder den Pflegekassen solche Schulungen anbieten. So könnte Grundpflege Stück für Stück im Quartier selbst gestemmt werden.

  • Zeitaufwand und zusätzliche Schulungen sind zumeist kein klassisches Ehrenamt mehr. Deshalb braucht eine ausgewachsene Nachbarschaftshilfe unterschiedliche Rollen. Für zwei Stunden Vorlesen die Woche kann man mit einer kleinen Aufwandsentschädigung rechnen, finden wir. Mit fünf Stunden die Woche Haushaltshilfe darf man mehr erwarten: das kann ein Minijob sein oder eine freiberufliche Entlohnung von 10 bis 15 Euro die Stunde. Wenn man eine noch aktivere Rolle in der Nachbarschaft übernehmen möchte und Schulungen besucht hat, warum sollte das dann nicht eine freiberufliche Tätigkeit sein, die mit bis zu 25 Euro pro Stunde entlohnt wird?

  • Rechtliche Rahmenbedingungen wie Versicherungen, Formblätter, Verträge und so weiter sollten zentral von der Genossenschaft koordiniert werden, ob innerhalb der Rechtsform Genossenschaft oder in einer anderen Rechtsform ist sekundär.

  • Die Finanzierung erfolgt über die Pflegekassen, wenn ein Pflegegrad vorhanden ist oder wenn sich die Mitgliedschaft dafür entscheidet über die Gemeinschaft auch für Menschen ohne Pflegegrad.

Fallmanagement im Quartier

Was tun Nachbarschaftshelfer:innen?